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Entlassungsexpertin "Immer Taschentücher dabeihaben"

Gefeuert! Für Angestellte kann das der schwärzeste Tag ihres Lebens sein, und Sophia von Rundstedt leitet ihn ein. Als Outplacement-Beraterin ist sie auf Kündigungen spezialisiert. Entlassene Mitarbeiter sind in ihrem Wortschatz "Botschaftsempfänger" - für Rundstedt ist das keine Floskel.
Von Simone Utler

Ein strahlendweißes Büro an der edlen Düsseldorfer Königsallee, mittendrin ein alter Holztisch, an dem eine Frau mit Kurzhaarschnitt und einem Pullover in Flaschengrün sitzt. Sophia von Rundstedt hat fröhliche große Augen und lacht sehr viel. Man fühlt sich wohl in ihrer Gegenwart. Doch für viele Menschen ist es zunächst der schwärzeste Tag ihres Lebens, wenn sie es mit ihr und ihrer Firma zu tun bekommen.

Die 39-Jährige leitet die älteste Outplacement-Beratung Deutschlands, gegründet vor 27 Jahren von ihrem Vater. Es gibt keine wirklich passende deutsche Übersetzung für den amerikanischen Begriff, aber man kann es ganz gut so zusammenfassen: Sophia von Rundstedt ist eine Art Entlassungsexpertin. Sie verdient ihr Geld unter anderem damit, dass sie Unternehmen beim Personalabbau hilft, ähnlich wie George Clooney in der Tragikomödie "Up in the Air", die 2009 in die Kinos kam.

Sophia von Rundstedt und ihre Kollegen unterstützen die Arbeitgeber bei der Vorbereitung und Durchführung einer Kündigung - bis hin zum eigentlichen Trennungsgespräch, das die Auftraggeber aber selbst führen müssen. Falls gewünscht, hilft Rundstedts Team anschließend den Entlassenen, wieder ins Arbeitsleben zurückzufinden. Es unterstützt sie also bei Jobsuche, Weiterqualifizierung, Bewerbung. Wenn nötig, wird auch schon mal eine Stilberatung angeboten.

Jobsuchende sind "Menschen in der Neuorientierung"

"Professionelles Trennungsmanagement" nennt Sophia von Rundstedt die Beratung der Unternehmen. Wer die Firmenchefin in ihrem Büro besucht, lernt viele solcher Begriffe. Sie spricht von "Trennungskultur", dem "konstruktiven Ablauf einer Trennung" und der "guten Trennungsstory". Es gibt in ihrem Wortschatz zwar "Kündiger", aber auf der anderen Seite stehen nicht etwa die "Gekündigten", schon gar nicht die "Betroffenen" oder die "Getrennten". Die, die gehen müssen, nennt Sophia von Rundstedt "Botschaftsempfänger", Jobsuchende sind in ihrem Sprachgebrauch "Menschen in der Neuorientierung".

Das alles sind für die Firmenchefin keine hohlen Floskeln, um einen schmerzhaften Prozess hinter netten Worten zu verstecken. Es gehe ihr um Respekt, um Wertschätzung, Fairness und Einfühlungsvermögen, sagt die Chefin.

Jahrelang hatte Sophia von Rundstedt nicht im Unternehmen des Vaters arbeiten wollen. Nach dem Abitur studierte sie Jura und fand eine Anstellung in einer Großkanzlei. Dort sei sie aber eine Art "Einzelkämpferin und Zuarbeiterin" gewesen. Sie habe wenig Kontakt zu Menschen gehabt und gemerkt, wie wichtig ihr dieses eigentlich sei, ebenso wie Kommunikation und Arbeit im Team. Sie wechselte erst in eine Unternehmensberatung, dann entschloss sie sich vor neun Jahren, in die Firma des Vaters einzusteigen.

Von der Pike auf lernte sie das Unternehmen kennen, das neben Outplacement auch Personalgewinnung und -entwicklung anbietet. Rundstedt war anfangs vor allem in der Beratung der Firmen tätig, die Personal abbauen wollten, führte aber ebenfalls Informationsgespräche mit Entlassenen. Mittlerweile ist sie vor allem Managerin und Führungskraft: Anfang 2011 schied ihr Vater aus der Geschäftsführung des Unternehmens aus, sie trat die Nachfolge an.

Nicht abends kündigen, nie freitags, schon gar nicht vor Weihnachten

Die Juristin führt das Unternehmen zwar nach dem Wertegefüge ihres Vaters weiter, agiert aber stärker im Team und hat eine Leichtigkeit ins Büro gebracht, die sich schon optisch zeigt: Ein dunkler Barockschrank aus Frankreich musste dem großformatigen grünen Gemälde eines jungen niederländischen Künstlers weichen, ein schwerer Holzschreibtisch funktionellen weißen Möbeln. Darauf stehen Werke zeitgenössischer Künstler und Fotos ihrer beiden Kinder.

Sophia von Rundstedt pendelt zwischen dem Düsseldorfer Hauptsitz und der Niederlassung in Frankfurt am Main, wo sie mit ihrem Mann und den Kindern lebt. Vom ersten Moment an habe sie gewusst, den passenden Job gefunden zu haben, sagt sie: "Outplacement ist beflügelnd, weil die Menschen, mit denen wir zu tun haben, in der Regel nicht wissen, wie es weitergeht, und wir ihnen dann eine Perspektive bieten."

Die Juristin hat die Erfahrung gemacht, dass so mancher Mitarbeiter das Kündigungsgespräch als klärend empfindet - wenn es ordentlich geführt wird. "Es geht darum, sich in den Menschen hineinzuversetzen und das Gespräch auf Augenhöhe und fair zu führen." Der "Botschaftsempfänger" müsse mit erhobenem Kopf aus dem Gespräch gehen können, man müsse ihm vermitteln, dass eine Trennung Perspektiven bietet, dass es dort draußen irgendwo einen guten Job für ihn gibt, im Idealfall eine bessere berufliche Zukunft.

Stromberg-Quiz

Für eine Kündigung gibt es einige Grundregeln, die Sophia von Rundstedt schnell zusammenfassen kann. Man sollte nicht abends kündigen, nie freitags - und schon mal gar nicht kurz vor Weihnachten. Und dann kommt die Pragmatikerin in der Chefin durch: "Man sollte immer Taschentücher dabeihaben. Es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand anfängt zu weinen."

Eine Flasche Sekt für jeden neuen Job - 850 Korken im Jahr

Sophia von Rundstedt legt Wert darauf, in ihrem Team den passenden Berater für jeden Fall zu haben: Sie beschäftigt zum Beispiel Unternehmensberater, Mediatoren und Psychologen. Kernkompetenzen, die die Mitarbeiter mitbringen müssen, sind unter anderem Empathie, Neugier und Interesse an Menschen. Das Team besteht zu 70 Prozent aus Frauen.

Wenn ein "Mensch in der Neuorientierung" einen neuen Job findet und zu Besuch kommt, wird bei Rundstedt gefeiert. Alle Mitarbeiter des Büros werden zusammengetrommelt, der frisch Vermittelte erzählt seine Erfolgsstory, dazu wird eine Flasche Sekt geöffnet. Die Korken der Flasche werden in großen Gläsern gesammelt. In jeder der neun Niederlassungen, die das Unternehmen in Deutschland hat, steht ein solches Glas. Allein 2011 sind 850 Korken hinzugekommen.

Nach sechs Monaten und nach zwei Jahren werden die Klienten befragt, wie sich ihr Berufsweg entwickelt hat. "Nach einem Jahr sind 95 Prozent der Befragten in der gleichen Position oder haben weiter Karriere gemacht, nach zwei Jahren immerhin noch 90 Prozent", sagt Sophia von Rundstedt. Die Unternehmerin weiß also besser als die meisten anderen Menschen, dass eine Kündigung nicht das Ende bedeuten muss, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt.

Trotzdem gehörten die Trennungsgespräche mit einigen eigenen Mitarbeitern, die sie 2011 führen musste, zu den schlimmsten Momenten ihrer beruflichen Karriere, sagt sie: "Da habe ich vorher schlecht geschlafen und nicht gegessen."

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Simone Utler ist Redakteurin bei SPIEGEL ONLINE im Ressort Panorama. Dieser Artikel erschien zuerst im UniSPIEGEL.