Den Gründergeist zurück in die Flasche gestopft

Viele Hartz-IV-Empfänger mit Migrationshintergrund sind auf Starthilfe für die Selbständigkeit angewiesen. Doch seit Jahren werden die Mittel dafür zurückgefahren. Diejenigen, die es trotzdem wagen, verschulden sich oft im privaten Umfeld.

Knut Henkel, Hamburg
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Selbständigkeit wagen oder nicht? Eine Frau sucht in einem Hamburger Arbeitsamt nach Orientierung. (Bild: Christof Stache / AP)

Selbständigkeit wagen oder nicht? Eine Frau sucht in einem Hamburger Arbeitsamt nach Orientierung. (Bild: Christof Stache / AP)

Habib Khalil öffnet die Tür zu seinem Reich, einem kleinen Sushi-Lokal am Rande der Innenstadt von Buchholtz, einer Kleinstadt vor den Toren Hamburgs. Die Wände sind in einem freundlichen hellen Grün gestrichen, drei Bambustische stehen direkt neben dem Eingang. Hinter dem Tresen bereitet Khalil, ein drahtiger Mann mit schwarzen, sauber gescheitelten Haaren, Tag für Tag Sashimi, Maki- und Nigiri-Rollen zu. Er rührt nach eigener Rezeptur Saucen an und erweitert sein Angebot immer wieder mit neuen Kreationen. Sie finden sich dann auf der Leuchttafel oberhalb des Tresens. Khalil hat diese erst vor ein paar Wochen in Auftrag gegeben. Für die Innenausstattung des Lokals war lange kein Geld da. «Wir haben mit einem privaten Kredit von über 11 000 Euro begonnen, da war an grosse Sprünge nicht zu denken.»

Finanziell unabhängig

Die gebürtige Iraker, der als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland übersiedelte, hat das kleine Unternehmen gemeinsam mit seiner Frau aufgebaut. «Unser Ziel war es, unabhängig von der Behörde zu werden, auf eigenen Füssen zu stehen und unser Leben gestalten zu können», erzählt er. Sein Berater im Jobcenter sei dem Wunsch nach Selbständigkeit nicht gerade positiv gegenübergestanden, sagt der kleingewachsene Mann. Doch sein Sushi-Imbiss hat sich längst etabliert. Eigentlich keine grosse Überraschung, denn Khalil, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, steht schon seit sieben Jahren am Sushi-Tresen, rollt, garniert und serviert die asiatischen Spezialitäten. Diese sind gefragt im Norden Deutschlands, und genau deshalb hat ihn auch sein ehemaliger Chef auf die Idee gebracht, sich selbständig zu machen. «Er wollte nicht weiter expandieren und hat mir zu dem Schritt geraten», sagt der Jungunternehmer lächelnd.

Khalil hatte seinerseits keine Lust mehr, für andere und zudem für nur wenig Geld am Sushi-Tresen zu stehen. Auf fünf, sechs Euro belief sich sein Stundenlohn zuletzt. Mit der Arbeit in eigener Regie steht er heute deutlich besser da. «Meine Frau und ich haben zwei Kinder, und mittlerweile können wir alle vom Imbiss leben. Nur einen kleinen Zuschuss bekommen wir noch für die Kinder», sagt Khalil zufrieden. Rund 20 000 Euro im Jahr spart der Staat durch die Selbständigkeit des geschickten Sushi-Kochs. Die Eheleute sind ihrerseits froh, dass sie nun weitgehend selbst über ihre Finanzen entscheiden können. Khalil und seine Frau stünden mit diesem Gefühl nicht allein da, erzählt Hakan Tarakci von «Unternehmer ohne Grenzen». Der Betriebswirt berät Menschen mit und ohne Migrationshintergrund bei dem Schritt in die Selbständigkeit. «Das Budget für unterstützende Leistungen bei Existenzgründungen ist Anfang 2011 heruntergefahren worden. Auf einen Gründungszuschuss besteht heute anders als früher kein Rechtsanspruch mehr», sagt er. Sechs Jahre ist Tarakci bereits Berater bei «Unternehmer ohne Grenzen» und moniert, dass nur noch bei jedem zehnten Antrag ein Gründungszuschuss bewilligt wird (siehe Kasten). Auch er hat mehrere Existenzgründer in der Kartei, die nicht auf die Beine kommen, weil sie weder einen Gründungszuschuss noch einen Kredit erhalten, obwohl bei ihnen gute Chancen für die Selbständigkeit vorliegen. «Gute Chancen sehe ich beispielsweise bei einem Klienten, der Spezialist für Handy-Artikel ist. Der hat die Kontakte zum Grosshandel, arbeitet seit Jahren nebenberuflich in der Branche und wird von den Behörden nicht gefördert» erzählt Tarakci. Der Mann habe darum keine Aussicht, das Startkapital für die Selbständigkeit aufzubringen.

Zuschuss nicht für jedermann

Für Tarakci ist dies kein Einzelfall. Ihm fallen da auch noch eine Kosmetikerin und eine Reinigungsfachkraft ein, die sich schliesslich gegen den Willen des Jobcenters selbständig gemacht haben und mit der Kürzung der Leistung bestraft wurden. Das passiere auch deutschen Leistungsempfängern. Leistungsempfänger mit Migrationshintergrund wollten sich allerdings häufiger selbständig machen, sagt Tarakci. Aufgrund privater Hilfe haben es die beiden Klienten trotzdem geschafft, finanziell auf die Beine zu kommen. «Aus unserer Perspektive hat bei den Jobcentern Priorität, die Menschen in Arbeit zu vermitteln. Dafür reicht auch schon ein Minijob für 450 Euro, auch wenn die Vermittelten schliesslich noch immer auf staatliche Leistungen angewiesen sind», sagt Tarakci. Eine Einschätzung, der die Sprecherin der Hamburger Zentrale der Jobcenter, Kirsten Maass, widerspricht. Laut Maass ist das zentrale Kriterium für die Vergabe von Förderleistungen, dass die selbständige Tätigkeit voraussichtlich wirtschaftlich tragfähig und die Hilfsbedürftigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums überwunden sein wird.

«Neue Gründungskultur»

Jan Evers, der die Gründungsentwicklung in Deutschland aus wissenschaftlich-analytischer Perspektive beobachtet, hat festgestellt, dass in Deutschland und auch im europäischen Vergleich lieber in Arbeit statt in Selbständigkeit vermittelt wird. Laut Evers war der Gründungszuschuss in Deutschland im europäischen Vergleich lange ein Vorzeigemodell, das auch recht gut funktionierte. Daher könne die Ausfallquote, also die Gründer, die nach ein, zwei Jahren wieder pleite sind, nicht für das Ende des Rechtsanspruchs auf den Gründungszuschuss verantwortlich gewesen sein. «Die lag laut meinen Quellen im marktüblichen Bereich», sagt er. Evers ist der Meinung, dass den deutschen Arbeitsagenturen und Jobcentern der Gründergeist fehlt. Die feste Anstellung werde oft als Nonplusultra angesehen, obwohl das längst nicht immer zum Profil der Arbeitssuchenden passe. «Eine offene, moderne Gründungskultur ist nötig», sagt Evers, der gerade im Auftrag des Wirtschaftsministeriums mit mehreren Kollegen eine Studie zur Zukunft der Gründungsförderung publiziert hat. Sie appelliert an die Behörden, mehr Flexibilität zu zeigen, mehr Hilfestellung für Gründer zu schaffen, aber auch andere Finanzierungsinstrumente einzusetzen.

Berater Tarakci hat die Erfahrung gelehrt, dass sich auch die Gründer bewegen müssen. «Sie müssen ihre Hausaufgaben machen und vernünftig kalkulieren», sagt er. Er erlebt es immer wieder, dass Leute schlecht vorbereitet in die Beratung kommen, aber schon ein Objekt im Auge haben, das sie liebend gern anmieten würden.

Derartige Fehler hat Habib Khalil vermieden. Der Sushi-Koch hatte aber auch insofern Glück, als ihm sein Onkel finanziell unter die Arme griff. Nun ist er einer von Tarakcis Klienten, die den Sprung in die Selbständigkeit geschafft haben. Vor allem froh ist Habib darüber, immer weniger mit dem Jobcenter zu tun zu haben.

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